Retouren Zugvoegel

Retouren vermeiden, Retourenquote senken – indem Kundenkonten à la Boozt gesperrt werden?

Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter momentan so stark wie der Umgang mit Retouren im eCommerce. In der Zeit, als sich noch keiner vorstellen konnte, dass man außer Bücher auch noch kompliziertere Dinge wie Schuhe oder Unterwäsche online bestellen kann, musste der Online-Handel seine Klientel damit überzeugen, dass sie die Ware in Ruhe zuhause anprobieren können und dann ganz einfach – nämlich kostenlos – retournieren können.

Über die Jahre ist aus dem ursprünglichen Überzeugungsargument eine Selbstverständlichkeit gewachsen, dass die Transportkosten automatisch vom Versender getragen werden. Angepriesene Rückgabezeiträume von 100 Tagen erleichtern die Entscheidung, bei welchem Fashion-Shop nun eingekauft wird.

Inzwischen ist durch Lockdowns und Ladenschließungen der Online-Handel in einer anderen Marktposition und der Wert von CO2-Einsparungen wird mehr und mehr Menschen wichtiger als eine bequeme Rücksendung. Bereits in 2022 wurde vom EHI das Ende der kostenlosen Retouren prognostiziert – Retourenmanagement ändert sich.

Doch legitimiert das eCommerce Unternehmen wie Boozt.com dazu, 42.000 Kundenkonten zu sperren, um damit 25% der Retourenkosten zu sparen? Die Reaktion auf die hohe Retourenquote und den niedrigen Customer Lifetime Value (CLV) dieser Kunden löst auf jeden Fall eine Debatte aus. Im Vergleich zu anderen Online-Modehändler wie Zalando, AboutYou und Galaxus wird deutlich, dass man auch anders mit der Thematik umgehen kann.   

 

Wieviel kosten Retouren?

Retouren kosten Geld, rund 10-15 EUR pro Rücksendung. Dabei stellt der Transport nicht unbedingt den größten Posten, sondern genauso die Prüfung der Retoure und die Wiederaufbereitung für den Weiterverkauf. Teilweise sind die Produkte für den Weiterverkauf nicht mehr geeignet. Der Wertverlust kommt also noch hinzu. Je weniger Retouren ein Online-Shop handeln muss, desto teurer kommt die Abwicklung. Das hat die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg herausgefunden.

Diese Kosten müssen irgendwo auch wieder hereingeholt werden. Entweder durch eine Beteiligung der Retournierer an den Kosten oder durch eine Einpreisung in den Verkaufspreis. In diesem Fall würden allerdings Wenig-Retournierer die Viel-Retournierer mitfinanzieren. Am besten also, Retouren so weit wie möglich zu vermeiden. Aber wie?

 

Welche Möglichkeiten gibt es, Retouren zu senken?

Wenn Unternehmen tatsächlich ihre Retourenquote senken wollen, gibt es auch noch andere Wege im Retourenmanagement als wie Boozt Vielretournierer zu sperren oder die Rücksendungskosten auf Kunden zu übertragen.

Der deutsche Online-Riese Otto erklärt, dass Retouren zum Geschäftsmodell des Online-Handels dazugehören und wie sie versuchen, die Retourenquote zu senken. Detaillierte Produktinformationen seien der Schlüssel zum Retourenmanagement. Dazu gehören ausführliche Größentabellen (mit Beschreibungen, wie die Maße zu nehmen sind und genauen Passformangaben), mehrere Fotos (auch Detailaufnahmen), Waschhinweise und viele filterbare Produktattribute. Es wird mit virtuellen Umkleidekabinen und live shopping experimentiert. Mittels KI zu Kundenbewertungen und Kundenfeedback soll schnell entdeckt werden, wie Kleidungsstücke ausfallen und entsprechend werden Hinweise formuliert. Liegen mehrere Artikel zur Auswahl im Warenkorb, kommt ein Hinweis zur Vermeidung von Retouren.

Die Otto-Tochter Limango belohnt Besteller, die ihre Ware komplett behalten, mit extra Bonuspunkten.

Amazon führt bei einer Retourenanmeldung eine Wirtschaftlichkeitsrechnung durch und erlaubt Kunden, die Ware zu behalten, wenn die Retoure mehr kosten sollte als der Artikel selbst.

Das Start-Up SAIZ will der genaueste Größenratgeber sein, indem die individuelle Passform mit der Passform des Produkts abgeglichen werden.

Voraussetzung für die meisten dieser Maßnahmen ist eine gute Datenerfassung und -pflege und die entsprechende Analyse. Je mehr Daten und je besser sie vernetzt sind, desto besser kann ich sie auswerten und zielgerichtete Maßnahmen einführen. Um welche Daten geht es hier?

  • Produktbeschreibungen samt Medien- und Ergänzungsdaten
  • Kundenfeedback aus Bewertungen und Kommentaren
  • EK- und Verkaufspreis, Marge
  • Transportkosten
  • Bestell- und Retourenhistorie pro Kunde
  • Auswertung von Retourengründen

Das klingt nach viel Aufwand und technologischen Ressourcen. Und das mag einer der Gründe sein, warum die Retourenkosten bei kleinen Online-Shops proportional höher sind als bei großen Handelsplattformen. Doch der Umgang mit Daten muss nicht automatisch teuer sein. Hublifys monatliche Kosten wachsen mit, d.h. man kann auch schon zu geringen Kosten beliebig viele Datenfelder haben und diese beliebig verknüpfen, segmentieren, etc. und entweder vorgefertigte Reports nutzen oder eigene Analysen kreieren.

Würde man diese Daten nutzen und in Verbindung bringen, könnte man herausfinden, welche Retouren tatsächlich weh tun, zu vermeiden wären und welche Kunden echte „Retourensünder“ sind, die zum Spaß bestellen und viel retournieren. Entsprechend könnten individuelle Service-Regelungen die „Richtigen“ treffen und nicht eine breite Masse betreffen.

Denn das Kaufverhalten kann sich über die Zeit hinweg ändern. Während Studierende preissensibel sein mögen und Produkte nur behalten, wenn sie genau ihren Vorstellungen entsprechen, können sie nach dem Berufseinstieg mit mehr Geld auf dem Konto bezüglich einer Rücksendung schon ganz anders entscheiden. Will man eine zukünftig lukrative Klientel aus seiner Kundenliste streichen, nur weil sie aktuell viel retournieren? Hier kommt wieder der CLV ins Spiel beim Retourenmanagement, der auch das zukünftige Einkaufsverhalten in seiner Auswertung des Kundenwerts betrachtet. Wie schwierig es jedoch ist, diesen Wert als Grundlage für so weitreichende Entscheidung wie die Sperrung von Kundenkonten zu nutzen, zeigt unser Blogartikel „Der Customer Lifetime Value auf dem Prüfstand“.

 

Wie kann der CO2-Fußabdruck im eCommerce noch reduziert werden?

Wenn es wie beim Retourenmanagement bei Boozt darum geht, tatsächlich den CO2-Abdruck durch Rücksendungen zu senken, gibt es noch deutlich mehr Alternativen als à la Aschenputtel die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen zu werfen. A propos CO2-Abdruck. Warum müssen immer Retouren als Sündenbock dafür herhalten, während es völlig akzeptabel ist, dass eine Bestellung aus 5 Posten auch in 5 Sendungen geliefert wird, wenn das für das Unternehmen die günstigste Variante ist (aber nicht die CO2-sparendste…)? Oder Plastiktüten als Verpackungsmaterial ok sind, solange sie billiger sind. Das Umweltbundesamt liefert viele Ideen zur Nachhaltigkeit im Online-Handel. Für Unternehmen mit lokalen Filialen kann auch das Konzept „Ship from Store“ genutzt werden. Dient das Argument der CO2-Einsparungen eher als Zugpferd, um kostenpflichtige Retouren durchzudrücken, um ein Signal an Kunden zu senden und entsprechend Erziehungsmaßnahmen durchzuführen, um die Aufmerksamkeit der Social Media Kanäle auf sich zu lenken? Als Kundin würde ich mir eine differenziertere Sichtweise wünschen. 

Letzte Aktualisierung: 26.06.2023
Autorenprofil

Begleiterin der ersten Schritte in die Digitalisierung aus Software-Perspektive. Interdisziplinärer Background mit Leidenschaft für eCommerce, kommunikative Pointe und kreative Ideen.

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