Die E-Commerce Branche weist eine der höchsten Churn Rates auf. 45% der Einzelhandels- und E-Commerce-Marken in Europa erleben Churn Rate von 51% oder höher. Die durchschnittliche Kundenbindungsrate im E-Commerce liegt bei nur 62%, was eine der niedrigsten Raten aller untersuchten Branchen darstellt.
Warum sollten Online-Händler in Kundenbindungsmaßnahmen investieren, wenn Neukunden doch beim nächsten Mal wo anders kaufen? Orientieren sich Käufer im Online-Handel nur am besten Preis?
Eine Analyse zeigt, dass sich Investitionen in die Kundenbindung trotz der herausfordernden Marktbedingungen lohnen – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Dabei ist zu Folgendes zu berücksichtigen, dass Kundenbindung immer abhängig ist vom Geschäftsmodell und der Branche, in der du tätig bist.
Abo-Modelle und klassischer E-Commerce
Im Abo Commerce (z. B. für Kosmetik, Nahrungsergänzung oder Software) unterscheidet sich Kundenbindung grundlegend vom klassischen E-Commerce. Hier entstehen höhere Erwartungen an Service und Liefertreue. Der Churn erfolgt aktiv (Kündigung) oder passiv (Zahlung scheitert, Interesse erlischt). Maßnahmen wie Pausierfunktionen, Reminder-Mails oder flexible Laufzeiten helfen, Kündigungen vorzubeugen.
Branchen-Benchmarks
Churn Raten variieren sehr stark nach Branche und können je nach Kanal oder Bezahlweise ebenfalls unterschiedlich ausfallen. Orientiere nach deinen Branchen-Benchmarks. Je genauer sie in puncto Branche, Land, Zielgruppe, Kanal auf deinen Case zutreffen desto besser. Diese Branchendurchschnitte sollten auch nicht überbewertet werden: sie zeigen Trends auf und sind Anhaltspunkte.
Falls du mit besonders hohen Churn Rates zu kämpfen hast, fragst du dich, warum du überhaupt in Kundenbindung investieren solltest. Hier sind einige überzeugende Argumente:
Neukunden sind teurer als Kundenbindung
Die bekannteste Rechtfertigung für Kundenbindungsmaßnahmen liegt in der Kostendifferenz zwischen Neukundengewinnung und Kundenbindung. Die Gewinnung eines neuen Kunden kostet 5- bis 25-mal mehr als die Bindung eines bestehenden Kunden. Diese Kostenschere wird im digitalen Zeitalter noch größer, da die Kundenakquisitionskosten von 2023 bis 2025 um 40% gestiegen sind.
Ein oft übersehener Aspekt bei der Gegenüberstellung von Kosten zur Neukundengewinnung und Kundenbindung: Analysiere, welcher Umsatz dir mit einem potenziellen Kundenverlust entgehen würde.
Bei der Rentabilitätsanalyse geht es nicht nur um Customer Churn im allgemeinen, sondern auch den Umsatzverlust (Revenue Churn). Ein Kunde mit niedrigem Bestellwert fällt anders ins Gewicht als ein Premium-Kunde mit einem hohen Customer Lifetime Value (CLV).
Bestandskunden sind die lukrativeren Kunden
Bestandskunden generieren überproportionale Umsätze. Im aktuellen Salesforce Shopping Index und in den jährlichen EHI-Studien zum E-Commerce Markt Deutschland zeigt sich:
- Bestandskunden machen rund 12–15% der Besuche aus, generieren aber 58–67% des Umsatzes.
- Die Conversion Rate von Bestandskunden ist 7- bis 8-mal höher als bei Erstkäufern.
- Wiederholungskäufer geben pro Jahr 2,8- bis 4-mal mehr aus als Neukunden.
- Ihr Warenkorbwert ist 35–50% höher.
Doch warum kehren Kunden zurück – trotz attraktiver Angebote anderer Anbieter?
Warum Kunden trotz Preisfokus wiederkehren
Der Preis ist nicht alles…
Durch KI sind die Preistransparenz, die Wahlmöglichkeiten und Vergleichbarkeit der Produkte höher denn je. Der Customer Loyalty Index 2024 von SAP Emarsys zeigt, dass in Deutschland dennoch als erster Grund für die Abkehr von Marken nicht mehr der Preis (wie im Jahr 2023) genannt wird, sondern die schlechte Qualität der Produkte.
Gründe für die Abkehr von einer Marke in 2024:
- Qualitätseinbußen (49%)
- Kostengründe (46% vs 47% in 2023)
- Schlechte Erlebnisse (44% vs 47% in 2023)
- Nachhaltigkeitspraktiken (31% vs 37% in 2023)
Neben der Preissensibilität sind Produktqualität, Erfahrungen rund um den Kauf und Nachhaltigkeits-Aspekte genauso wichtig!
Was wirkt sich positiv auf die Loyalität aus?
In der Umfrage werden auch die Faktoren ausgewertet, die sich positiv auf Kundentreue auswirken. Hier tauchen als neue Aspekte die Produktqualität und Erlebnisse auf:
- Hochwertige Produkte: 52 % (NEU)
- Langlebigkeit der Marke: 34 % (44 % im Jahr 2023)
- „Kultstatus“: 22 % (19 % im Jahr 2023)
- Unvergessliche Erlebnisse schaffen: 22 % (NEU)
- Sich aus politischen Diskussionen heraushalten: 17 % (10 % im Jahr 2023)
Allerdings zeigt die Studie auch, dass Loyalität in den unterschiedlichen Generationen sehr unterschiedlich definiert wird. Während die Gen Z am wenigsten Loyalität überhaupt zeigt, sind es hier vor allem Kostengründe, die den Wechsel verursachen. Diese Generation wünscht sich perfekt auf sie abgestimmte Angebote. Für die ältere Generation dagegen stehen Kundenservice an erster Stelle für Loyalität und nicht der Preis oder Angebote.
Wenn es darum geht, wie man Kundenbindung im eigenen Unternehmen umsetzt, sollten die Maßnahmen der Zielgruppe entsprechen. Und natürlich anhand von passenden KPIs getrackt werden. Welche KPIs dafür infrage kommen, zeigen wir dir in diesem Blogartikel: Kundenbindung und Kundenverlust im eCommerce: eine Bestandsaufnahme.
Mögliche Maßnahmen zur Kundenbindung
Selektive Kundenbindung
Angesichts der hohen Churn Rates sollten E-Commerce-Unternehmen ihre Kundenbindungsmaßnahmen strategisch ausrichten. Kundenbindungsprogramme sind hier nach wie vor ein valides Mittel, aber der Fokus sollte auf der Identifikation und Bindung wertvoller Kundensegmente liegen. Wen möchte man genau mit welchen Produkten binden? Aufgrund welcher Werte lassen sich diese Segmente auf Treueprogramme ein?
Zur Bewertung von Churn und Kundenbindung nach Kundensegmenten eignet sich die Kohortenanalyse: Hierbei wird das Verhalten von Kundengruppen betrachtet, die in einem bestimmten Zeitraum akquiriert wurden. Ergänzend lohnt sich ein Blick auf saisonale Effekte, etwa hohe Abwanderungsraten nach Black-Friday-Käufen, die häufig einmalig motiviert sind. Solche Analysen helfen, gezielt in Kunden zu investieren, die langfristiges Potenzial bieten.
Mehrwert-Strategien & UX
Erfolgreiche Kundenbindung erfordert die Schaffung von Mehrwerten jenseits des Preises: Personalisierung, exzellenter Kundenservice, Nachhaltigkeit und Vertrauen – im Zeitalter von KI und fast vollständiger Preistransparenz überzeugen andere Werte.
Auch die Optimierung der User Experience (UX) – z.B. schnelle Ladezeiten, intuitive Navigation oder mobil optimierter Checkout – reduziert Churn signifikant. Gerade im Mobile Commerce ist ein reibungsloser Ablauf kaufentscheidend.
Feedbacksysteme
Ein unterschätzter Erfolgsfaktor ist die systematische Einholung von Kundenfeedback. Unternehmen, die nach dem Kauf gezielt nach Zufriedenheit fragen, identifizieren frühzeitig Schwachstellen im Bestellprozess.
Eine sehr einfach umzusetzende und aussagekräftige Messung erfolgt beispielsweise durch den Net Promoter Score (NPS).
Timing der Maßnahmen
Die ersten drei Monate sind kritisch für die Kundenbindung im E-Commerce, mit Churn Rates, die von 10% im ersten Monat auf 4% im dritten Monat fallen. Frühe Interventionen sind daher besonders kosteneffektiv.
Fazit
Kundenbindungsmaßnahmen im E-Commerce lohnen sich trotz hoher Churn Rates, allerdings nicht pauschal für alle Kunden. Die 5- bis 25-fach höheren Kosten der Neukundengewinnung und die überproportionalen Umsätze von Bestandskunden rechtfertigen selektive Investitionen in die Kundenbindung. Während E-Commerce-Kunden durchaus preissensitiv sind, basieren langfristige Kundenbeziehungen auf Vertrauen, positiven Erlebnissen und emotionaler Verbindung – Faktoren, die sich monetär auszahlen und nachhaltigen Wettbewerbsvorteile schaffen.
Der Schlüssel liegt in der intelligenten Segmentierung der Kundenbasis und der gezielten Investition in Kunden mit hohem Lifetime Value-Potenzial, anstatt in undifferenzierte Massenmaßnahmen.